Aktualisiert am 22.06.2020 : Erläuternde Worte von Pfarrer Norbert Kaiser, gesprochen von Christiane Stephani. Herzlichen Dank!
Einleitende Worte :
Im Jahr 2005 erhielt die katholische Kirche St. Bartholomäus in Kaiserslautern-Morlautern auf Anregung des damaligen Pfarrers Norbert Kaiser neue Kirchenfenster.
Der Künstler Alois Plum, Mainz, hat sie zu den Anrufungen des Vaterunsers gestaltet.
Beginnend an der rechten Seite neben dem Marienaltar kann man den Fenstern entsprechend den Versen des Vaterunsers folgen. Nicht figürlich-gegenständlich – abgesehen von der Verwendung der Ähre in einem Fenster – sondern durch die Verwendung von Farben und ihre Anordnung und Beziehung zu einander werden die Aussagen der Verse wiedergegeben.
Autor der nachfolgenden Betrachtungen zu den Vaterunser-Fenstern ist Pfarrer Norbert Kaiser.
Das Vaterunser-Gebet
Die Jünger und Jüngerinnen, die damals Jesus folgten, sahen in ihm einen besonderen religiösen Lehrer, der ein ganz besonderes Verhältnis zu Gott hatte. Sein Erfülltsein und seine Nähe zu Gott müssen auf die Menschen ungewöhnlich und faszinierend gewirkt haben. Deshalb folgten sie ihm nach und suchten Orientierung bei ihm. Und so hatten sie ihn gefragt (Mt 6,9–15 und Lk 11,2–4): Wie sollen wir beten? Und Jesus antwortete: So sollt ihr beten. Mit dem Gebet, das er den Menschen gab, sagt er etwas Grundsätzliches darüber aus, wie er zu Gott steht und wie auch wir zu Gott stehen sollen.
Teresa von Avila sagte: Lauschen soll ich, mehr hören als reden, mir das Vaterunser Wort für Wort vorsprechen lassen, bevor ich es selber spreche. Ich soll hineinhören in den Innenraum meiner Seele, wo Jesus, der Lehrmeister in dieser Schule, die Worte von damals heute spricht. Und ich soll ihn fragen: Was meinst du mit dieser und mit jener Zeile? Welchen Sinn haben deine Worte? Wichtig ist, dass ich mir Zeit lasse für jeden einzelnen Vers.
Vater unser im Himmel
Goldgelb, die Farbe Gottes, kommt von oben herab.
Das Tiefblau, die Farbe des Planeten Erde, auf dem wir leben, reicht nach oben hinauf.
Schon die Schriften das Alten Testaments sprechen von Gott als Vater, so redet auch Jesus und so schreiben die Evangelisten von „Abba“, wenn sie von Gott sprechen.
„Abba“ ist nicht ein Titel, nicht eine Formel, sondern der familiäre Name, den man einem Vater gibt. Dabei muss „Abba“ nicht geschlechtlich als männlich gedacht werden. Manche Übersetzungen sprechen heute von „Gott, unser Vater und unsere Mutter“.
Das Wort „Abba“ steht für das Gottesbild des Neuen Testaments. Der Theologe Eugen Biser
bezeichnet Jesus als den „größten Revolutionär der Religionsgeschichte“1, denn er hat das Gottesbild eines angsterregenden, strafenden Gottes hinweggefegt. Jesus lehrt uns mit dem Vaterunser eine Beziehung zwischen Gott und den Menschen, die von Respekt und Herzlichkeit, Zutrauen und Liebe geprägt ist. Mit „Abba“ wird die Vertrautheit und Geborgenheit ausgedrückt, in der Jesus die Beziehung mit Gott gelebt hat. Und so sollen alle Menschen Gott anreden und mit ihm leben: Er ist „unser Abba“ – „Vater unser“.
Geheiligt werde dein Name
Das Goldgelb, die Farbe Gottes steht im Zentrum des Bildes.
In das Blau als Farbe des irdischen Lebens wirkt das Gold Gottes hinein.
„Geheiligt werde dein Name“ ist der große Eröffnungswunsch des Gebetes Jesu. Es ist das
Hauptanliegen Jesu: Gott möge bewirken, dass alle Menschen der Welt an ihn glauben, dass sein Name heilig gehalten werde.
Nicht berührt von der Sünde, nicht lächerlich gemacht, nicht besudelt, nicht ent-heiligt soll der Name Gottes sein. Wie in anderen Religionen auch soll unsere Beziehung zu Gott von Ehrfurcht geprägt sein.
„Heiligen“ bedeutet in der biblischen Tradition „hell machen“, „groß machen“.
Und so wünscht Jesus, dass wir Menschen Gottes Namen heiligen, seinen Namen groß und hell werden lassen unter uns. Jesus benutzt die Sprache der Liebe, in der auch wir von Gott sprechen sollen, eine Sprache, die das Höchste, Schönste und Herrlichste für den Geliebten will: Du Gott, heil und groß, heilig und herrlich sollst du sein, strahlende Kraft einer unbegreiflichen, unendlichen Liebe.
Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden
Das Blau, das Braun und Schwarz unseres Planeten Erde und das Gold Gottes und das Rot seiner Liebe begegnen sich.
Es kommt Bewegung hinein, eine Dynamik entsteht zwischen Himmel und Erde:
Da fällt etwas von oben herab wie Tropfen: Tauet ihr Himmel von oben, ihr Wolken lasst Gerechtigkeit regnen. (Jes 45,8).
Da wird das Reich Gottes wie ein Samenkorn in unser Leben gelegt. Da durchdringt der Geist Gottes die Welt.
Für das Wort „Reich“ steht im griechischen Text das Wort „basileja“, d.h. „Königstum“. Gemeint ist die Regierungsweise eines Königs. Der Wunsch, den Jesus hier formuliert, sagt: Unser Leben, unser Gemeinwesen möge geordnet sein nach dem Grundgesetz Gottes.
Wer gehört zu diesem Reich? Jesus sah die Kostbarkeit eines jeden, liebte die Gesellschaft mit den Menschen beim Essen und Erzählen, er schenkte seine Freundschaft den Guten und den Schurken, den Römern und den Juden, und er ließ sich auch von ihnen mit Freundschaft beschenken. Die Reichen wie die Armen, die Gelehrten wie die Ungebildeten, die Schönen wie die Aussätzigen, die Geachteten wie die Verrufenen gehörten für ihn zum Reich Gottes dazu.
Was zählt in diesem Reich? Gottes Wille geschehe, Wahrheit und Barmherzigkeit, göttliche
Gerechtigkeit und Liebe mögen geschehen im Himmel wie auf der Erde. Die Dynamik im Fenster drückt aus: Gottes Reich ist mitten unter uns, in unserer Welt, in unserem Leben.
Unser tägliches Brot gib uns heute
In das tiefe Braun und Blau unserer Erde dringt helles Licht von oben. Das Gold Gottes findet sich wieder im Geschenk der Ähre.
In den nun folgenden Versen des Vaterunsers geht es um das menschliche Leben und das menschliche Miteinander, zunächst um das, was wir für unsere Existenz brauchen: unser tägliches Brot. Dabei steht die Ähre nicht nur als Symbol für unsere tägliche Nahrung, sondern für all das, was wir täglich zum Leben brauchen. „Brot“ – das ist Nahrung für jeden, Frieden und Geborgenheit, Bildung und Freiheit. An dieser Stelle des Vaterunsers bitten wir um das Notwendige, das Not-Wendende für jeden Menschen, für jeden Tag. Wir erhalten es, so symbolisiert die Farbe Gold der Ähre, als Gottes Gabe, uns in die Hände gegeben – auch damit wir es miteinander teilen.
„Brot“ ist das auch das Brot der Eucharistie, das Brot unserer sakramentalen Einigung mit Christus, der von sich sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer von diesem Brote isst (= wer eins wird mit mir), der wird in Ewigkeit leben.“ (nach Joh 6, 48ff.)
„Brot“ steht für unsere Beziehung zu Gott.
Jesus sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“ (Mt 4,4)
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Mitten im Braun und Blau der Existenz auf dieser Erde: Das Rot – Farbe des Blutes und der Schuld. Das Violett, Farbe der Reue und Buße, taucht am rechten Fensterrand auf.
Das Gold Gottes findet man in diesem Fenster nicht – aber im Fenster gegenüber.
Wir sind hineinverwoben in die Schuldgeschichte der Menschheit. Obwohl Gott uns vieles mitgegeben hat: Leib, Geist und Verstand, Begabungen, unsere Seele, obwohl wir all das empfangen haben, ohne etwas dafür getan zu haben, schaffen wir es nicht, uns selbst und anderen gerecht zu werden. Wir werden schuldig durch Unachtsamkeit, Oberflächlichkeit, Boshaftigkeit, Rücksichtslosigkeit bis hin zur Gewalttat. Wir bleiben einander immer gegenseitig die Liebe schuldig, Geduld und Aufmerksamkeit, Respekt und Anerkennung.
Durch Liberalisierung, Globalisierung und Machtpolitik schaffen wir Strukturen einer Weltordnung, in der ein Großteil der Menschen in Armut, Hunger und Unfrieden leben muss. Mit unserem Lebenswandel tragen wir mit Schuld an den ökologischen Problemen unseres Planeten. Im Vaterunser bitten wir darum, dass Gott uns vergeben möge, dass er uns in seiner Gnade und Liebe entgegenkommt. Dazu gehört aber auch unabdingbar – wie Jesus es uns im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger vermittelt (Mt 12, 23-35) -, dass wir einander vergeben, unser Verhalten ändern und umkehren.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Schwarz, Dunkelheit, Nacht. Ein Weg dringt wie eine bohrende Spitze von der Erde her ins Blau des Kosmos und ins Gold Gottes.
Das Böse spaltet die Welt in rechts und links, es spaltet die Menschheit. Spaltung ist das Wesen der Sünde. Wir tragen es als Stachel in unserem Fleisch. Das Böse legt sich wie ein dunkler Schatten in den Weg.
Wir bitten mit diesem Vers des Vaterunsers darum, nicht in Versuchung geführt zu werden, der Versuchung nicht zu erliegen. Die größte Versuchung der Menschen – symbolisch erzählt in der Geschichte vom Turmbau zu Babel – ist die Ich-Orientierung und Selbst-Überhöhung. Wir gestalten die Welt und machen unsere eigenen Interessen dabei zum Maßstab. Und wenn wir Gott doch einmal zulassen, dann sagen wir ihm, wann und wo und wie wir ihn brauchen. Wir instrumentalisieren ihn und halten ihn ansonsten fern von uns, nennen ihn nicht mehr „Abba“, „Vater“, weil wir uns ihm nicht mehr anvertrauen und uns nicht an ihm orientieren. Der schwarze Weg der Versuchung führt uns in Schuld und Sünde.
Das Fenster veranschaulicht aber auch den zweiten Teil des Verses: Nie sind wir allein. Hinter dem schwarzen Weg leuchtet das Gold Gottes. Gott umgibt uns auch in der Schuld. Wir können beten:
Erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Umflutet vom Gold Gottes bewegt sich das Blau des Kosmos in beschwingten Linien von unten nach oben, von oben nach unten. In den Tanz des Blaus leuchten zwölf Sterne hinein, Lichtpunkte, die an das himmlische Jerusalem erinnern. (Off 21,12-14, 19-21)
Dieser Text steht in alten Abschriften des Matthäus-Evangeliums. Er wurde wohl eingeführt als
liturgischer Abschluss des Vaterunser-Gebetes, um es nicht mit den Bitten zu beenden, sondern um mit einem großen Lobpreis auf die Größe und Heiligkeit Gottes zu schließen. Möglicherweise hat dabei der große Lobpreis aus dem Synagogen-Gottesdienst der griechisch-jüdischen Diaspora-Gemeinde Pate gestanden. Er war entnommen dem Buch der Chronik: „Dein, Herr, sind Größe und Kraft, Ruhm und Glanz und Hoheit; dein ist alles im Himmel und auf Erden.“ (1Chr 29,11)
Wir beten diesen Vers heute unmittelbar im Anschluss an die vorangehenden Bitten ganz bewusst im Geist ökumenischer Offenheit.
Wir denken dabei an den großen, heiligen Gott, der alle Menschen „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang“ dazu aufruft, zu erkennen, „dass es außer mir keinen Gott gibt. Ich bin der Herr und sonst niemand.“ (Jes 45,5 und 6)
Schlusswort
Der Wunsch von Pfarrer Kaiser
„Möge die Betrachtung der Kirchenfenster von St. Bartholomäus uns dazu anregen, das Vaterunser in uns hinein-zubeten und aus uns heraus-zubeten, dass es unser Gebet und unser Glaube und unser Leben werde.“
1 Biser, Eugen: Das Christentum als Religion der Angstüberwindung. In: Leben zwischen Angst und Hoffnung.
Hg: Erwin Möde, Pustet: Regensburg, 2000. S. 163-176.
Alois Johannes Plum, geb. 1935 in Mainz
Studium der freien und angewandten Malerei
Mainz, Landeskunsthochschule
Salzburg, Sommerakademie
Düsseldorf, Kunstakademie
Freischaffend tätig seit 1958 insbesondere Gestaltung von Glasfenstern, Wandmalerei, Tafelbilder, Mosaike und Behänge. www.kunst-mit-glas.de
Norbert Kaiser, ehemals Pfarrer von St. Martin, Kaiserslautern und damit auch zuständig für St. Bartholomäus Kaiserslautern-Morlautern, initiierte die Fenster von St. Bartholomäus.
Er ist nach seinem Ausscheiden aus der Pfarrleitung von St. Martin Kaiserslautern tätig als Präses der kfd im Bistum Speyer und als Seelsorger in Hettenleidelheim.
Die Texte basieren auf Norbert Kaiser: Das Vaterunser – Die Fenster der Pfarrkirche St. Bartholomäus Kaiserslautern-Morlautern. Eigendruck 2007.
Robert Stephani, Kaiserslautern-Erlenbach, Fotos.